Montag, 26. November 2012

Tora Twice About Hebrew Writing



1.) Johann Gottfried Herder
Abhandlung über den Ursprung der Sprache/ Treatise on the Origins of Language. 1772.

^ It was God's breath, wafting air, that the ear caught, and the dead letters, that they drew, were only corpses, that needed to be read as to breathe a new spirit of life into their souls ^

"Nehmet die sogenannte göttliche erste Sprache, die hebräische, von der der größte Teil der Welt die Buchstaben geerbet: daß sie in ihrem Anfange so lebendigtönend, so unschreibbar gewesen, daß sie nur sehr unvollkommen geschrieben werden konnte, dies zeigt offenbar der ganze Bau der Grammatik, ihre so vielfachen Verwechselungen ähnlicher Buchstaben, ja am allermeisten der völlige Mangel ihrer Vokale. Woher kommt die Sonderbarkeit, daß ihre Buchstaben nur Mitlauter sind und daß die Elemente der Worte, auf die alles ankommt, die Selbstlauter, ursprünglich gar nicht geschrieben wurden? Diese Schreibart ist dem Laufe der gesunden Vernunft so entgegen, das Unwesentliche zu schreiben und das Wesentliche auszulassen, daß sie den Grammatikern unbegreiflich sein müßte, wenn Grammatiker zu begreifen gewohnt wären. Bei uns sind die Vokale das Erste und Lebendigste und die Türangeln der Sprache; bei jenen werden sie nicht geschrieben. – Warum? – Weil sie nicht geschrieben werden konnten. Ihre Aussprache war so lebendig und feinorganisiert, ihr Hauch war so geistig und ätherisch, daß er verduftete und sich nicht in Buchstaben fassen ließ. Nur erst bei den Griechen wurden diese lebendigen Aspirationen in förmliche Vokale aufgefädelt, denen doch noch Spiritus* usw. zu Hülfe kommen mußten; da bei den Morgenländern die Rede gleichsam ganz Spiritus, fortgehender Hauch und Geist des Mundes war, wie sie sie auch so oft in ihren malenden Gedichten benennen. Es war Othem Gottes, wehende Luft, die das Ohr aufhaschete, und die toten Buchstaben, die sie hinmaleten, waren nur der Leichnam, der lesend mit Lebensgeist beseelet werden mußte! Was das für einen gewaltigen Einfluß auf das Verständnis ihrer Sprache hat, ist hier nicht der Ort zu sagen; daß dies Wehende aber den Ursprung ihrer Sprache verrate, ist offenbar. Was ist unschreibbarer als die unartikulierten Töne der Natur? Und wenn die Sprache, je näher sie ihrem Ursprunge, desto unartikulierter ist – was folgt, als daß sie wohl nicht von einem höhern Wesen für die vierundzwanzig Buchstaben und dies Buchstaben gleich mit der Sprache erfunden, daß diese ein weit späterer, nur unvollkommener Versuch gewesen, sich einige Merkstäbe der Erinnerung zu setzen, und daß jene nicht aus Buchstaben der Grammatik Gottes, sondern aus wilden Tönen freier Organe entstanden sei. Es wäre doch sonst artig, daß eben die Buchstaben, aus denen und für die Gott die Sprache erfunden, mit Hülfe derer er den ersten Menschen die Sprache beigebracht, eben die allerunvollkommensten in der Welt wären, die gar nichts vom Geist der Sprache sagten und in ihrer ganzen Bauart offenbar bekennen, daß sie nichts davon sagen wollen."

* Das Zeichen für den Anhauch in der griechischen Sprache.


2.) Peter Daniel
Zu "Konsonanten Chaos" und "Buchstaben in Bewegung/ On "Chaos of Consonants" and "Moving Letters". 1992/93.
In: Visuelle Poesie/ Visual Poetry. Eugen Gomringer. Stuttgart: Reclam.

^Rather the letters of the Tora would just assemble themselves differently – according to the needs of the new period of the world. Not one single letter of the Tora would have to be added or even be removed. Through this New-Combination of letters the words of the Tora would receive a "new meaning/a new sense"and would evoke New-Perceptions/Insights/Realisations (The Tora as an Open Work, as Moving Work).^

"Die Tora war – gemäß kabbalistischer An(Ein)sicht – ursprünglich "ein Haufen voll ungeordneter Buchstaben" ("Konsonanten Chaos"). All die Buchstaben der Tora wären also noch nicht zu jenen Wortverbindungen kombiniert gewesen, die wir heute kennen und lesen.
Die zunächst rein "spirituellen Buchstaben" (der sogenannten "mystischen Ur-Tora") hätten sich erst auf weiteren Stufen "fortschreitender Materialisierung" auf unterschiedliche Weise zusammengeschlossen: Anfangs sei die Tora demnach lediglich eine Folge aller möglichen Konsonantenkombinationen gewesen, die aus dem hebräischen Alphabet gebildet werden können, wenn zwei solcher Konsonanten zusammentreten; dann hätten sich aus den Buchstaben die G"ttesnamen gebildet; später Appelative und Prädikative, welche das G"ttliche umschreiben; schließlich wären die hebräischen Buchstaben – sobald sich in der materiellen Welt irgendein bestimmter Vorgang ereignete – zu eben diesen Wortverbindungen zusammengetreten, mit welchen und nun die Tora über genau diese Ereignisse berichtet. – Hätte sich stattdessen irgendein anderes Ereignis abgespielt, so wären eben andere Buchstabenkombinationen entstanden…
Und doch war/ist/bleibt die Tora letztlich immer dieselbe; in ihrem "Wesen" ist sie "unwandelbar".
Daran vermag selbst das von Alters her überlieferte Wort: "Eine neue Tora wird ausgehen… " nicht zu rütteln. Denn dieses Wort bedeutet nicht, daß die Tora durch eine andere ersetzt würde. Vielmehr würden sich die Buchstaben der Tora bloß auf eine andere – den Bedürfnissen dieser Weltperiode gemäße – Weise zusammenfügen; und zwar so, daß auch kein einziger Buchstabe der Tora hinzugefügt oder gar einer von ihnen weggenommen werden müßte. Durch diese Neu-kombination von Buchstaben würden die Worte der Tora einen "neuen Sinn" erhalten und beim Menschen "Neu-Erkenntnisse" hervorrufen/hervrorbringen (Die Tora als 'offenes Werk', als 'Werk in Bewegung'")."